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Mary Poppins hat aufgeräumt

"Es ist einfach alles zu viel geworden"

Unser tägliches Leben besteht aus einem immer fortwährenden Drang nach Perfektionismus. Man wird mit Herausforderungen nicht nur konfrontiert, sondern geradezu überschüttet. Sei es der Beruf den, man ausübt, um seine Träume zu verwirklichen oder der Druck, originell zu sein. Wir müssen uns mit der eigenen Vorstellung nach Perfektionismus auseinander setzen und zudem prasseln die Vorstellungen der Gesellschaft auf uns ein.

So entsteht ein ständiger Druck, alles richtig und gut machen zu wollen. Und neben der Arbeit und dem eigenen Vorankommen auch das Privatleben nicht aus den Augen zu verlieren, das Wohlbefinden aller klar zu stellen und den Haushalt zu schmeißen.

Wer soll wie viel einbringen? Und muss man sich selbst zurücknehmen für das Wohlbefinden anderer? Dieser ständige Balanceakt zwischen dem eigenen Pfad und den Pfaden der anderen, die nicht nur nebeneinander laufen sollen, sondern Schnittstellen bilden müssen, lässt uns atemlos zurück. 

Genau diese Atemlosigkeit beschreibt das Problem unserer Protagonisten in Alexander Maruschs Inszenierung "Stück Plastik" am LTT. 

Foto: LTT / Martin Sigmund; v.l.: Patrick Schnicke, Raphael Westermeier, Jennifer Kornprobst
Foto: LTT / Martin Sigmund; v.l.: Patrick Schnicke, Raphael Westermeier, Jennifer Kornprobst

Wir erleben ein Ehepaar, dass unentspannter nicht wirken könnte und einem nur vom Zuschauen schon innere Hektik bereitet. Ulrike (Jennifer Kornprobst)  und Michael (Patrick Schnicke) sind beide berufstätig, wollen ihre Ziele erreichen und nicht für das Wohlbefinden der anderen zurückstecken. Dem Ganzen zum Opfer fällt der Sohn Vincent (Daniel Holzberg), der zunächst einfach nur wie ein pubertierender Junge wirkt, der sich mit allen Mitteln gegen seine Eltern stellt.

In dieser verzweifelten Situation beschließen die Eltern, eine Putzfrau zu beschäftigen, die auch die Familie bekochen soll und am besten noch dem Sohn bei allem hilft. Diese Frau, Jessica Schmitt (Laura Sauer), strahlt eine unermüdliche Ruhe aus. Sie steht in dieser völlig absurd wirkenden Anfangsszene einfach nur da und blickt starr ins Publikum. Diese Anfangsszenerie hinterlässt fast schon den Eindruck einer Mary Poppins 2.0. Wir lernen die neue Haushaltshilfe durch die Beschreibungen der Familie kennen, sie sei unerwartet aus dem Regen erschienen und hätte ihr Leben verändert. Und auch die Tatsache, dass es ihr nicht sonderlich wichtig ist, ob sie ein bisschen nass geworden ist, denn sie ist da um sich um das Wohlbefinden der anderen zu kümmern.

Und da haben wir ihn den Gegensatz, der sich von Anfang bis Ende durch dieses Stück zieht. Doch obwohl sie als so lebensverändernd beschrieben wird und man dieses Gefühl der Nanny bekommt, die die Familie wieder zusammenführen wird, ändert sich im Verlaufe des Stückes nichts an den Einstellungen der Erwachsenen. 

Wir sehen dieses Ehepaar, dass mit seinem Leben überfordert ist und ständig die Probleme aufeinander projiziert, es aber nie schafft, diese zu lösen. Und das besonders Spannende daran ist, dass wir trotz dieser überaus hektischen und manchmal viel zu schnellen Dialoge eine Kommunikationslosigkeit sehen, die einfach nicht überwunden wird. Man möchte in manchen Momenten rufen: "Bitte holt einfach nur Luft!"

Die Spitze dieser Hysterie bietet der Arbeitgeber von Ulrike, der Künstler Serge Haulupa (Raphael Westermeier). Für ihn sind die Abgründe Kunst, egal ob es die eigenen oder die der Menschen um ihn herum sind, und somit zur Gewinnmaximierung perfekt geeignet. Bei der Darstellung seines überspitzen Weltbildes weiß man manchmal nicht, ob man lachen soll oder sprachlos zusehen, wie er in die Hektik unseres Ehepaars mit einsteigt. 

In diesen ganzen Wirbel der drei Erwachsenen wird die arbeitstreue Putzfrau ohne fremdes Zutun einfach hineingezogen und jedes noch so kleine Problem der Familie wird zu einem Problem der Gruppe gemacht. Die Hast, die dabei entsteht, wird durch die am Boden gebliebene Jessica dann doch ein bisschen abgedämpft. 

Auf dem Boden bleibt die Haushaltshilfe auch fast das ganze Stück über körperlich, denn das Bühnenbild von Gregor Sturm stellt ganz klar die Machtverhältnisse dar. Wir sehen ein Podest, welches in reinem Weiß gehalten ist und an dessen Front zahlreiche Haushaltsgeräte eingebaut sind. Die erhöhte Spielfläche der Familie ist in akkurate Quadrate aufgeteilt, die jedoch an manchen Stellen des Stückes zu Falltüren werden. 

Aber so offen der Spielraum der Familie ist und so offen diese auch gerne sein möchte, überfällt sie die Macht der Vorurteile dennoch immer wieder aufs Neue. Und gerade diese Vorurteile lassen den Höhenunterschied der Personen noch deutlicher erscheinen. Eine Putzfrau muss ja arm leben oder? Und Glück bekommt man ja bekanntlich nur mit Geld. Doch während sich eine halbe Ewigkeit über 20 herumliegende Euro gestritten wird, die ja auch für das Ehepaar hart erarbeitet sind, werden dem Sohn, nachdem er einen Nagellack klaut, die großen Geldscheine nur so vor die Füße geworfen.

"Es steht nirgendwo geschrieben, dass Jungs keinen roten Nagellack tragen dürfen."

Doch bei diesem ganzen Unterschied zwischen der Hysterie der drei Erwachsenen und der Ruhe der Putzfrau, scheint es der Sohn Vincent zu sein, der in dieser Inszenierung das eigentliche Opfer ist. Denn auch wenn es vordergründig um ihn geht, geht es nicht um ihn, sondern um die Probleme der Eltern. Und so wird er mit all seinem Leid und seinem Wunsch, einfach nur so zu sein wie er wirklich ist, alleine gelassen und übersehen. Dabei ist es egal, ob er provokativ vor den anderen Alkohol trinkt oder eben Nagellack klaut, denn jeder Moment wird von den Problemen der anderen überschattet. So wird einem erst am Ende klar, warum er so aussehen will wie Jessica und was seine Abneigung gegen die Ähnlichkeit zu seinem Vater bedeutet. Er ist der einzige an diesem gesamten Abend, der sich verändert. 

Aber die anfängliche Ähnlichkeit mit Mary Poppins, die mir aufgefallen ist, klingt schnell ab. Alle Erwachsenen bleiben in ihrem Weltbild und ihrer Rastlosigkeit stecken. Und so ist man am Ende dann doch ein bisschen froh, als Jessica alle endlich schlafen lässt. Das innere Chaos, mit welchem mich diese komische, aber auch leicht übertriebene Inszenierung zurückgelassen hat, lässt sich aber nicht so einfach durch eine schlafbringende Suppe lösen.


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Kommentare: 1
  • #1

    Amelie Dippold (Montag, 02 Oktober 2017 21:44)

    Man fühlte sich währen dem Lesen, als würdest du neben einem sitzen und alles erzählen. Es klang nicht nach irgendeinem Stück, dass man gesehen hatte, sondern nach einer alltäglichen Situation. Dieser begegnet jeder einmal und ich habe mich wirklich fragen müssen, ob ich auch so einen Vincent kenne oder selbst manchmal einer bin. Dein Artikel ist wunderbar mitreißend und macht Lust, sich das Stück selbst anzusehen. Mach weiter so!! :)