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Wer sind wir und sind wir wirklich wir?

Geschrieben am 05.03. 2017

"Nehmen wir nicht mit jeder neuen Bekanntschaft, eine neue Rolle ein? Ändern wir uns nicht für jede Person, mit der wir kommunizieren?"

"Ameisenscheiße-eine existenziell analysierende Tragödie oder auch nicht" 

Zuerst weiß man, wenn man diesen Titel liest, nicht viel damit anzufangen. Ja die Existenz könnte eine Rolle spielen, aber sicher ist man sich dann doch wieder nicht. Auch der Begriff Ameisenscheiße lässt der eigenen Fantasie freien Lauf. Ich wurde oft gefragt, worum es in diesem Stück geht und konnte es, obwohl ich es gelesen hatte, kaum beschreiben. 

Ameisenscheiße also, das Stück, das zuerst so klein und harmlos daher kommt, einem aber die ganze Zeit über den Spiegel vorhält. Und am Ende stellt man die eigene Existenz und die Motive, die einen zum Handeln bewegen dann doch irgendwie infrage. Wer sind wir? Wer wollen wir werden? Was wollen wir sein? Was bin ich? Nicht für Freunde, nicht für die Familie und auch nicht für fremde Menschen auf der Straße. Ich. Dieses Bild, das man im Spiegel sieht. Was ist das, wer ist das? Sind das nicht alles Fragen, die wir uns an den tiefsten Abgründen unserer Seele stellen, denen wir so oft gegenüberstehen? Im Endeffekt bietet das Stück keine Lösungen auf alle diese Fragen. Aber was wäre die Lösung? Gibt es überhaupt eine? Das möchte ich hier nicht weiter diskutieren. 

Auch wenn Daphne Busek in ihrem Stück diese Fragen nicht beantwortet, macht sie uns doch durch die Ausarbeitung der einzelnen Rollen und durch die in einen blauen Latexanzug gehüllte Kreatur bewusst, dass wir niemals wirklich wir sind und uns mit unserer bequemen Situation abgefunden haben. Vielleicht bleibt uns auch nichts übrig und wir müssen uns damit abfinden.


Alles fängt mit einer leeren Bühne an. Nur ein weißes Sofa steht darauf, auf welchem unsere Protagonisten sitzen. Alle sind auf irgendeine Weise in Schwarz gehüllt, mit farblichen Akzenten, aber trotzdem in Schwarz. Dieses eingefrorene Bild erinnert einen sofort an das Plakat zu dieser Inszenierung (siehe Bild Mitte).

Langsam taut die Szenerie dann doch auf und versetzt uns in... ja in was eigentlich? Eine Trauerfeier oder ist es doch nur ein "normaler" Abschied von einer Person? Auf jeden Fall wird uns von einem gewissen Finn Fourmiliere erzählt, der 'weggegangen' ist. Jeder hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Jeder kennt ihn irgendwoher und hat eigene Erlebnisse mit ihm. Und dabei bekommen wir in jeden Protagonisten schon einen ersten, kleinen Einblick, sei es der Film verliebte oder der Musiker. Diese Szene wirkt so grotesk und gleichzeitig weiß man wenig damit anzufangen. Worum geht es hier eigentlich?

Dieser jähe, ziemlich übertriebene Gefühlsausbruch, der sich auf eine fast lustige Art und Weise uns darbietet, wird dann von Ava (Isabella Schmid) unterbrochen, die es nicht fassen kann. Diese Ignoranz, diese Übertreibung und auch das einreihen in eine Masse, egal ob das nun alles wahr ist oder nicht. Schon hier wird die Problematik dem Zuschauer verdeutlicht, die diese Inszenierung als Schwerpunkt gewählt hat. Wir sind alle ein Teil einer Gruppe und diese Rollen bestimmen unser Leben. 

Im weiteren Verlauf herrscht eine Art Dialog auf der Bühne, welcher uns zum einen die Gruppe der Freunde zeigt, wie sie sich über alltägliche Dinge unterhalten und eine Masse, ja eine Gemeinschaft sind. Jeder hat eine Meinung über den anderen und diese bleibt in der Gruppe so bestehen.

Gleichzeitig sehen wir Szenen, die uns die Personen näher vorstellen. Wir sehen ein Bild, das die jeweilige Person prägt, sei es der Bücherwurm, der Musiker, die politisch Korrekte, etc.

Wir sehen, wie jede Person in der Masse agiert, die Maskenfiguren, die dabei jeweils auftreten sind ein Teil eines Ganzen, ein System, das nur gemeinsam funktioniert. Diese Bilder wirken fast schon wie ein Kampf und ein Flehen, um Zugehörigkeit.

 


Irgendwie traurig, wie dieses eine feste Bild einen immer wieder einholt und man aus diesem System nicht ausbrechen kann, oder?

Diese Inszenierung zeigt uns ein Wirrwarr von Personen und Momenten. Wir sehen Zukunftspläne oder Vergangenheitserinnerungen. Wir sehen Fassaden und Masken, die jeder Mensch in seinem Leben trägt. Wann sind wir wirklich wir selber und nicht nur ein Konstrukt von der Gesellschaft oder den Menschen um uns herum.

Ich möchte hier nicht eine genaue und detaillierte Beschreibung der einzelnen Szenen oder des Aufbaus liefern, da das Stück sich, wie jeder Mensch, nun mal nicht in ein festes und klares Schema pressen lässt. Es ist sehr schade, dass es nur an diesen beiden Tagen zu sehen war, den es trifft einen wichtigen Punkt mit dem sich nicht nur Jugendliche nach ihrer Schullaufbahn beschäftigen, sondern dem wir uns immer wieder im Leben stellen müssen.

Unterm Strich eine wunderbare Inszenierung von Daphne Busek, die selber auch noch die Lore gespielt hat. Ja an manchen Stellen war es ein wenig verwirrend und man musste sich in die Situationen oft erst rein denken, aber das Stück ist wunderbar geschrieben und zeigt einem auf lustige und auch nachdenkliche Weise, wie sehr wir unsere Leben als ein Teil eines ganzen verbringen und dabei immer die Frage nach uns selbst im Raum stehen bleibt.

Foto: Christine Wolf
Foto: Christine Wolf

Ich möchte noch kurz auf die wunderbare Arbeit aller eingehen. Die Schauspieler, die alle mit unterschiedlichen Erfahrungsvoraussetzungen zu diesem Stück kamen, haben den Figuren eine so intensive Lebendigkeit verschafft, dass man wirklich gemerkt hat, dass sie in diesem Moment voll und ganz die Rolle sind. Ich selber könnte nie auf einer Bühne stehen, daher danke für den schönen Abend an Isabella Schmid als Ava, Georg Krause als Frederic, Levi Kuon als John, Juta Mitraite als Alex, Nicolas Sidiropulos als die blaue Kreatur (siehe Bild) und an die Autorin, Regisseurin und Figur Lore Daphne Busek (siehe Bild).

Ich möchte dir noch sagen, dass ich, auch wenn es seltsam klingt, so super Stolz auf die bin. Ja ich weiß, dass ich auch mehr Kritik an dem Stück üben darf, aber erstens finde ich kaum welche und zweitens bin ich noch immer viel zu sehr begeistert von der ganzen Arbeit, die du hier geleistet hast, auch wenn der Weg manchmal steinig war. Du hast etwas geschafft, was viele von uns nicht einmal in 20 Jahren hinbekommen würden. Du wirst deinen Weg gehen, da bin ich mir so sicher, und später, wenn du mal berühmte Schauspielerin und Regisseurin bist, dann werde ich immer noch eine deiner größten Bewunderinnen sein.

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Kommentare: 1
  • #1

    Amelie Dippold (Dienstag, 08 August 2017 15:48)

    Obwohl ich das Stück nie gesehen habe, fühlt es sich durch das Lesen des Textes an als säße ich mit im Publikum und dass dies meine Gedanken und Fragen wären. Schöner Text! :)