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Himmlische Chöre im LTT: Von Abgründen der Seele und der Kraft der Musik

"Schon als kleiner Junge wollte ich Musik machen, die die Herzen der Menschen öffnet."


Musik, die Herzen berührt und alle Wunden der Seele heilt.

Foto: David Graeter/ LTT
Foto: David Graeter/ LTT

Starmusiker und Dirigent trifft auf kleinen, verkorksten Kirchenchor. Auch in "Wie im Himmel" ist die Kraft der Musik der Faktor, der die Menschen zusammenschweißt und auch nach anfänglichen Hürden bildet sich eine Gemeinschaft und Zusammenhalt. Musik kann Herzen berühren und Wunden heilen, denn Musik verbindet. Man ist nicht eine Einzelperson, die sich rechtfertigen muss, man ist ein Teil eines gesamten Geflechts und dabei spielt nicht die Herkunft eine Rolle, sondern die Musik. In der Musik ist es egal, wer man ist. Egal ob dick oder dünn, egal ob groß oder klein, egal ob Mann oder Frau, egal ob homo- oder heterosexuell, es ist egal, ob man der gesellschaftlichen Norm entspricht oder nicht. 

Wie im Himmel zeigt uns, wie so ein Chor aussehen kann, der am Ende alle Menschen vereint und den

Zuschauer summend und von einem Klangteppich getragen nach Hause gehen lässt. 

Doch dieser Chor existiert in dieser Form noch nicht zu Beginn des Stückes. Dem Saal wird eine Vielzahl an Charakteren geboten, manche überspitzt dargestellt, manche kaum ersichtlich präsent. Jeder findet sich auf irgendeine Art und Weise in den Charakteren wieder. Und dabei spielt es keine Rolle, ob man so was wirklich mal erlebt hat oder sich oft einfach nur so wie, diese eine Person fühlt.

Wir sehen einen Stardirigenten, der durch sein Talent kaum ein normales Leben führen konnte, und schließlich bei einem Konzert einen Zusammenbruch erleidet und daraufhin sich von der Musik loszulösen versucht, um in seinem Heimatdorf Ruhe zu finden. Doch dann kommt alles ganz anders.

"Alles beginnt mit dem Zuhören. Stellt euch vor, dass alle Musik schon vorhanden ist. Es geht nur darum zu zuhören und bereit zu sein, sie von dort oben herunterzuholen."

Foto: David Graeter/ LTT
Foto: David Graeter/ LTT

Daniel Dareus ist ein gefeierter Musiker und Dirigent, doch nachdem er einen Zusammenbruch erleidet, kehrt er in sein Heimatdorf zurück, um sich zu erholen und Ruhe zu finden. Schnell lernt er die ersten Dorfbewohner kennen. Den Pfarrer Stig (Rolf KIndermann), der ihm gleich eine Bibel in die Hand drückt, Lena (Carolin Schupa) mit ihrem rollenden Laden und Arne (Andreas Gugliemetti), der einem alles Beliebige beschaffen kann und Daniel sofort einlädt sich den kleinen Kirchenchor, anzuhören.

Obwohl Daniel Dareus es am Anfang ablehnt und nichts mehr mit Musik zu tun haben will, kann er es dann doch wieder nicht lassen und sieht in dem verkorksten Kirchenchor eine Quelle für fast schon himmlische Musik. Seine eigenwilligen Methoden, die Musik in den Herzen der Menschen zu finden und dadurch diese zu erreichen, befreien die einen von ihrer Last, stoßen jedoch auch bei dem einen oder anderen auf Widerstand. Sodass sich bald einige Bewohner gegen Daniel verschwören.

Schnell wird klar, dass in diesem Chor nicht alles perfekt ist und jeder mit seinen kleinen Problemen zu kämpfen hat. Jeder ist auf seine Weise anders und das macht die Vielfalt dieses Chores aus. Gleichzeitig zeigen diese Persönlichkeiten an vielen Stellen, wie lange sie sich schon versteckt haben und sich immer und immer wieder erniedrigen lassen.

Man fühlt an jeder Stelle mit den Charakteren mit und nimmt ihnen jede Emotion ab. In diesem Stück wird auch wieder deutlich, wie wichtig ein gutes Publikum ist. Es gibt Momente, in denen alle gemeinsam lachen und im nächsten Moment wird es plötzlich komplett still. Man merkt wie jeder Einzelne mitfiebert. Es gibt so viele fantastische Stellen. Wenn Stig auftritt und ein Raunen durch den Saal geht oder wenn Eric (Lukas Umlauft/Robin Walter Dörnemann) und Holmfrid (Patrick Schnicke) zueinanderfinden und sich küssen und daraufhin Jubel und Applaus losbricht. Auch der Moment, als Homfrid sich endlich gegen Arne wehrt und denjenigen, die bei den Witzen über sein Gewicht oder seine Sexualität noch gelacht haben, jetzt endgültig das Lachen im Hals stecken bleibt. Diese ganzen Momente, in denen das Publikum mit den Protagonisten mitleidet oder mit diesen lacht, machen das Stück so authentisch und einmalig. Und genau dafür liebe ich dieses Stück, weil man immer noch jedes Mal, sich freut, lacht und auch wütend wird und den Dorfbewohnern zurufen möchte: "Wehr dich doch mal";"Lass das nicht auf dir sitzen"oder "Sei doch endlich still". Und dabei spielen die Schauspieler eine riesige Rolle. Denn dadurch, dass das Bühnenbild eher schlicht gehalten ist, und im Gegensatz zum Film, hier nicht auf weite Landschaften gesetzt wird, die den Zuschauer beeindrucken sollen, stehen die einzelnen Charaktere mitsamt ihren Entwicklungen im Vordergrund. Und diese Umsetzung des Filmes von Kay Pollak gelingt. An manchen Stellen gefällt mir das Stück sogar besser und ich finde es sogar intensiver als den Film.

Was mich bei jedem Besuch des Stückes wieder aufs Neue berührt ist auch die Detailarbeit, die diese Inszenierung und die Schauspieler in den einzelnen Rollen bieten. Dabei sind es vor allem die vergleichsweise kleineren Rollen, die mich beeindrucken.

Rolf Kindermanns Stig, der mit kerzengeradem Rücken und steif wie ein Brett auf die Bühne tritt und sich dann doch für einen kurzen Moment mit seiner Frau Inga (Sabine Weithöner) fallen lassen kann. Conny (Daniel Tille), der ein fast schon angsterfülltes Aufstöhnen beim Zuschauer bewirkt und man am Ende nicht so recht weiß, ob er seine Versprechungen ernst machen will und nicht doch zu einer Änderung fähig ist.

Foto: David Graeter/ LTT
Foto: David Graeter/ LTT

Holmfrid (Patrick Schnicke) und Gabriella (Franziska Beyer), die wie zwei schüchterne Rehe auf der Bühne erscheinen und so auch wieder von dieser abgehen, bis die beiden dann doch aufgehen können und sich wehren können, alles durch die Musik. Man fühlt richtig mit, wenn Holmfird sich gegen Arne wehrt und man möchte ihn dann einfach nur in den Arm nehmen. Auch, wenn Gabriella das für sie geschriebene Lied singt, bekomme ich Gänsehaut und ihr ist die Befreiung von ihrem Ehemann Conny am Ende des Stückes anzusehen, denn aus der grauen Maus ist ein farbenfroher Schmetterling geworden.

Siv (Laura Sauer), deren biederer Charakter von ihrer aufrechten Haltung bis hin in die gekrümmten Fußspitzen in ihren Auftritten vertreten ist und Eric, der sowohl von Lukas Umlauft, als auch von Robin Walter Dörnemann in dieser Spielzeit, durch Gesten, Blicke, etc. den Chor abrundet. Auch wunderschön anzusehen ist, wie der unerfahrene Daniel Dareus, gespielt von Martin Bringmann, und die oft von Männern enttäuschte Lena (Carolin Schupa) zueinanderfinden. Der überspitzte Charakter des Arne (Andreas Gugliemetti) führt zu Gelächter, wenn er in den Hörer seines Telefons schreiend auf die Bühne kommt. 

Allerdings gibt es noch eine Figur, die glaube ich nicht nur mich begeistert. Michael Ruchters Tore, der erst im Laufe des Stückes auf der Bühne erscheint und der so detailreich und authentisch gespielt wird, dass manche denke ich zwei Mal hinschauen müsse, um zu merken, dass da nicht wirklich ein geistig eingeschränkter Mensch auf der Bühne steht. Die Figur des Tore sorgt das gesamte Stück hindurch für Lacher und auch Faszination. Man nimmt Michael Ruchter diese Rolle zu hundert Prozent ab, denn egal ob er im Vordergrund oder Hintergrund steht, ob er nun spricht oder zusammen mit dem Chor singt, die gesamte Gestik, Mimik und Körperhaltung ist zu jedem Zeitpunkt komplett perfekt und man hat wirklich das Gefühl, da steht Tore vor einem. Und gerade an dieser Figur sieht man die umfassende Detailarbeit des Stückes. Egal ob es nur ein kleiner Blick ist, als die Gruppe sich Conny entgegenstellt und Eric Tore vor sich herschiebt oder wie sich Tore jedes Mal bekreuzigt, sobald der Pfarrer Stig auftaucht.

Jeder dieser Momente macht das Stück zu einem einzigartigen Erlebnis. 

Foto: David Graeter/ LTT
Foto: David Graeter/ LTT

Wenn am Ende der Chor, durch vermeintliche Zuschauer erweitert wird und der Saal mit den Klängen voller Botschaften gefüllt wird, kann man fast nicht mehr still sitzen. Getragen von diesem Klangteppich, merkt man, wie wichtig Musik ist, um die eigene Seele zu heilen. Und Botschaften wie "Vereine alle Menschen, vereine und versöhne" sind heutzutage umso wichtiger.

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Kommentare: 1
  • #1

    Jochen Gewecke (Freitag, 17 März 2017 11:39)

    Vereine alle Menschen, vereine und versöhne: Ja!
    Wunderschön geschrieben. Dankeschön.