· 

Open up the door: Der legendäre Klub 27 auf der Bühne des LTT

"Ihr habt einen Schutz gegen die Grausamkeit entwickelt und damit die Herzen der Menschen erreicht."


Wie alles begann:

Das erste Stück, das ich am LTT gesehen habe, war Heiner Kondschaks forever 27. Dieses Stück ist der Auslöser für meine Theaterliebe gewesen. Nicht nur weil die Idee fantastisch ist und es verdammt gut inszeniert und gespielt ist, sondern weil mir dieses Stück gezeigt hat, was alles im Theater steckt. Ich hab das erste Mal das Gefühl gehabt zweieinhalb Stunden nicht nachgedacht zu haben, sondern wirklich in einer anderen Welt zu sein. Und diese Welt im Theater viel intensiver zu erleben als in einem Film oder Buch. Ich könnte mir das Stück hundert Mal ansehen.

Es ist jedes Mal wieder genial.

Foto: Martin Sigmund/ LTT
Foto: Martin Sigmund/ LTT


Foto: Martin Sigmund/ LTT
Foto: Martin Sigmund/ LTT

live fast, love hard, die young

Ein Stück über Leben und Tod, ein Stück über die Kraft der Musik und ein Stück über Zusammenhalt. Das alles ist forever 27. 

Gemeinschaft. Dieses Gefühl wird einem nicht nur von den Musikern auf der Bühne vermittelt, es entsteht jedes Mal aufs Neue wieder zwischen den Menschen vor der Bühne. Nicht nur mit denen, die mit einem da sind, sondern auch mit völlig fremden Menschen um einen herum. Man lacht gemeinsam, man singt gemeinsam oder genießt einfach nur die fantastische Musik. 

Schon der Moment und das damit aufkommende wohlige Gefühl, wenn ich in den Saal eintrete, zaubert mir ein breites Grinsen ins Gesicht. Der Anblick des Proberaumes auf der Bühne, der jedem sofort klar macht, worum es in dem Stück geht. Der leichte Geruch nach Alkohol und Rauch (ist der Geruch wirklich da, oder bilde ich mir den jedes Mal nur ein?), der zu dem gesamten Ambiente einfach perfekt passt. Man nimmt Platz. Menschen, um einen, die sich unterhalten. Manchen merkt man sofort an, dass sie zum ersten Mal da sind. Andere setzen sich lächelnd neben einen, sodass man irgendwann in ein Gespräch eintaucht. Menschen, die auch mehrmals da sind: "Sie sind also auch so ein Wiederholungstäter." Menschen, die öfter gehen, weil es "einfach zu gut" ist. Jeder weiß, wie oft er schon da war. Manche erzählen stolz davon, dass sie ja schon zum dritten Mal da seien, was mir dann doch ein kleines Schmunzeln ins Gesicht treibt. Man ist sich aber schon vor Beginn einig über die Einmaligkeit des Stückes. 

Obwohl ich das Stück an manchen Stellen schon fast komplett mitsprechen kann, steigt doch mit jeder vergehenden Minute meine Aufregung. Das ist auch die Besonderheit am Theater, man weiß bei ein und demselben Stück nie was einen heute erwartet.

Das Licht wird langsam gedimmt, während man hinter dem Bühnenbild schon die Schauspieler singen hört. Langsam verebben die Gespräche und die Spannung steigt. Dieser Zeitpunkt, wenn noch niemand auf der Bühne ist und man nur die Stimmen hervorklingen hört, ist einer meiner Lieblingsmomente. Denn wenn man genau hinhört, sind diese Verse die Zusammenfassung des gesamten Stückes:

"Ja was wär, ja was wär, wenn das schon alles wär. 27 und nicht mehr, ja was wär, ja was wär."

Zum einen erklären diese Verse natürlich die Ausgangssituation des Stückes. Musiker, die mit 27 gestorben sind und sich an einem Ort im Jenseits treffen, um gemeinsam Musik zu machen. Wie könnte man denn auch denken, dass der Tod dieser Legenden schon alles wär. Gleichzeitig zeigen diese Verse für mich persönlich die komplette Bandbreite von forever 27. Es gibt ein Leben nach dem Tod, in welchem Jimi Hendrix, Jim Morrison, Curt Cobain, Janis Joplin, Brian Jones, Alexandra und Amy Winehouse, so leben als wären sie nie gestorben. Es zeigt all die lustigen und schönen Momente die wir als Zuschauer erleben, aber diese Worte geben uns auch schon eine Vorahnung, dass auch dieses Leben nach dem Tod nicht immer perfekt ist. Die Melancholie, der Wunsch doch noch länger gelebt zu haben. Was wäre dann? So spaßig dieses Stück klingt und natürlich an vielen Stellen auch ist, so greift es doch Aspekte auf, die uns spüren lassen, wie wertvoll unser Leben ist. 

Diese erste fast schon besinnliche Einstimmung wird unterbrochen, als die hinten angebrachten Toilettentüren nacheinander aufschwingen und jeder Musiker auf die Bühne tritt. Schon diese Anfangssequenz führt zu heiterer Stimmung und Gelächter, sodass der gesamte Saal gelöst wirkt. Sofort bekommt man mit "love her madly" von den Doors den ersten und zum Glück auch nicht den letzten Beweis für das Talent, dass jeder Darsteller mitbringt. Alle wippen auf den Sesseln mit und manch einer singt sogar den ihm bekannten Text mit, wenn Jim Morrison anfängt, unverkennbar zu tanzen (die Hüften kreisend) und alle einen Heidenspaß haben. 

Ich könnte das gesamte Stück so einzeln aufschreiben, aber ich glaube, das wäre dann doch ein bisschen zu lang. 

Man lernt nun jeden einzelnen Protagonisten kennen, sein Leben, die wichtigsten Momente der Karriere, die eigenen Berg- und Talfahrten. Man sieht den Wortkargen Jimi Hendrix, der in der Musik aufgeht und, durch Michael Ruchter super verkörpert, sein Instrument beherrscht wie kein anderer. Wir erleben, wie sich Janis Joplin (Jennifer Kornprobst) auf der Bühne die Seele aus dem Hals schreit und Franziska Beyer als anfängliche "Putzfrau" die Schlagerherzen höher schlagen lässt und gleichzeitig den Laden sauber hält, nur um dann, nachdem sie in den Schlagerolymp geschickt wurde, als Amy Winehouse frischen Wind in den Laden zu bringen und noch einmal mehr für einen 'wow' Moment zu sorgen. Brian Jones (Thomas Zerck) gibt den selbstzufriedenen Multiinstrumentalisten, der nur Schlagzeug spielt, als ehemaliger Rolling Stone, der "das Leben des Brian" noch mal auf eine ganz andere Ebene hebt. Heiner Kock gibt den tanzenden und Weisheiten streuenden Jim Morrison, während man durch Lukas Umlauft (leider nur noch in der Rolle zu sehen) den depressiven Kurt Cobain erlebt, der durch Schrotflintenschüsse auf der Bühne erscheint, aber mit seinen Songs dieses Stück in allen Blickrichtungen vereint. ("all in all is all we are")  

Wir sehen von jedem einzelnen ganz besondere Facetten und trotz der Unterschiede die Einheit, die diese "Narzissten" bilden.

Man hört Sätze über Leben und Tod, über die eigenen Träume und das damit verbundene Scheitern und sich selbst zugrunde richten. Doch am Ende bleibt immer die Musik, die nicht nur diesen utopischen Klub vereint, sondern auch uns als Zuschauer erreicht.

"Musik ist ein Bohrer. Mit Musik kann man Löcher bohren in menschliche Herzen, und wo ein Loch ist, da kann was rein oder raus."  

Wenn man erwartet ein Stück zu sehen, welches einem Aufschluss darüber gibt, warum diese Legenden so früh gestorben sind, der wird enttäuscht. Denn dieses Stück soll und kann uns diesen Aspekt nicht zeigen. Wir sehen die Todesursachen und die entsprechenden Verschwörungstheorien dazu. Und man sieht, womit jeder Einzelne zu kämpfen hatte in seinem Leben. Wir erleben etwas, was es niemals so gab, nämlich alle gemeinsam auf einem Haufen. Wir spüren die Sehnsucht noch weiter gelebt zu haben, auch wenn es vielleicht eine Erlösung von all dem Leid war.

("Und im Augenblick des Todes vergeht der Schmerz. Ich denke der Tod ist ein Freund.")

Und am Ende wünscht man sich doch, dass diese utopische Vorstellung Wirklichkeit würde.

Jeder, der das Stück noch nicht gesehen hat, sollte das unbedingt tun, um einen schwerelosen Abend zu erleben. Und am Ende gilt doch immer: 

"I`m the one that has to die, when it`s time for me to die, so let me live my life the way I do"

und

"it`s better to burn out than to fade away"

 

Foto: Martin Sigmund/ LTT
Foto: Martin Sigmund/ LTT

Kommentar schreiben

Kommentare: 0