Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust

Der endlose Drang nach dem Unerreichbaren, nach Perfektionismus, nach mehr und immer mehr treibt viele Menschen an. Höher. Schneller. Weiter. Man setzt sich immer neue Ziele, ist unzufrieden mit dem was man hat und strebt nach dem Unmöglichen. Mehr erreichen, mehr erleben, der Wunsch vereinnahmt einen und führt bis hin zur Selbstzerstörung.

Goethes Faust ist verloren, er ist in der Suche nach dem Sinn in seinem Leben gefangen und verzweifelt daran. Er probiert alles aus, eignet sich Wissen an, bleibt aber rastlos. Der Gewinn ist flüchtig und kurzlebig. Faust widmet sich mit allen Sinnen dem Unbekannten und gibt nicht auf, bis er jenes erreicht oder sich angeeignet hat. Doch die Vereinnahmung führt zu Desinteresse, sobald er sein Ziel ergriffen hat, wird es unwichtig und er lässt es fallen. Darin spiegelt sich die Faust Figur auch im modernen Menschen wieder.

Christoph Roos versucht in seiner Inszenierung am Landestheater Tübingen diese modernen Themen und Motive mit klassischen Elementen zu vereinen.

Foto: LTT / Tobias Metz; v.l.: Jürgen Herlod, Mattea Cavic, Andreas Guglielmetti
Foto: LTT / Tobias Metz; v.l.: Jürgen Herlod, Mattea Cavic, Andreas Guglielmetti

Wir sehen zu Beginn einen Faust (Andreas Guglielmetti), der sich selbst im Alkohol ertränkt und verloren scheint. Seine Verlorenheit wirkt sich auf sein komplettes Handeln aus, egal ob der Drang nach dem Unbekannten oder die Verzweiflung in der Sinnlosigkeit des Daseins, Fausts emotionale Umschwünge werden von seiner Hilflosigkeit absorbiert. Dies zeichnet ein Bild von einem immer wieder im selben Trott gefangenen Individuum, dessen Motivationen an manchen Stellen undeutlich bleiben. Mephisto (Jürgen Herold) kommt da wie gerufen leichtfüßig und unbefangen auf die Bühne. Schnipst mit den Fingern, umtänzelt Faust und bietet dabei die Lösung für all seine inneren Sehnsüchte.

Roos wählt in seiner Inszenierung einen spannenden Aspekt, indem er die Schauspieler des Mephisto und des Fausts in der Hexenküche die jeweils andere Rolle übernehmen lässt. So wird Mephisto nun von Andreas Guglielmetti und Faust von Jürgen Herold verkörpert. In diesem Wechsel lässt sich die Zwiespältigkeit eines jeden Menschen wiederfinden, denn man kann nicht nur und für immer gut und aufrichtig sein, sondern in jedem von uns steckt eine listige, vielleicht dunkle Seite, sei sie auch noch so klein. Schade ist allerdings, dass dieser vielversprechende Tausch nur in sanft angedeuteten Bewegungen und Verhaltensweisen, fast übervorsichtig aufgegriffen wird. 

Faust trifft nun auf Gretchen (Mattea Cavic) und wie mit allem anderen was er erstrebt hat, setzt er sich in den Kopf, sie haben zu wollen und das um jeden Preis und mit allen Mitteln. Doch wie schon zuvor lässt er sie fallen, sobald er sein Ziel erreicht hat. Die Figur Gretchens befindet sich in der Inszenierung des LTT in einem ständigen Balanceakt zwischen starker Frau, der von allen gesagt wird, wie sie zu sein hat und was sie zu tun hat, und dem offensichtlich schüchtern, naiven Mädchen, die Faust nicht wieder stehen kann.

Das ganze Hin und Her, die Ungewissheiten und Verborgenheiten spiegeln sich auch im Bühnenbild (Peter Scior) wieder. So fungieren zu Beginn noch versteckte Drehelemente als Auf- und Abganghilfen, die einen Ortswechsel oder eine neue Personenkonstellation mit einem Dreh offenbaren. Gleichzeitig entstehen in bestimmten Konstellationen der Bühne spielerisch Licht- und Schatteneffekte, die zur Stimmung und auch zum Konflikt der Protagonisten beitragen. Zusätzlich werden diese Effekte und Szenen durch musikalische Elemente verstärkt (Musik: Markus Maria Jansen). Dabei zieht einen die Musik tiefer in die emotionalen Konflikte hinein und lässt einen erwartungsvoll die folgenden Handlungsstränge beobachten.

Alles in allem lassen sich in der Faust Inszenierung des LTT heutzutage bekannte Problematiken wiederfinden, die mit dem klassischen Stoff vereint werden. Wir sehen einen ausgebrannten Faust, der bis zum Schluss auf seinen eigenen Gewinn ausgerichtet ist, sich jedoch gegen Gretchens Willensstärke, ihr Schicksal nun selbst in die Hand zu nehmen, nichts ausrichten kann. Und so verklingt der Abend in Dunkelheit und Schatten bei einer interessanten Inszenierung, die manche Chancen mehr hätte nutzen können.

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Kommentare: 1
  • #1

    Amelie Dippold (Dienstag, 20 Februar 2018 18:30)

    Ein sehr interessanter Artikel, der dazu führt das Stück selbst sehen zu wollen. Mir gefällt deine Schreibweise, die dazu führt, dass man nicht mittendrin aufhören kann zu lesen, weil es einen so mitzieht.