· 

Ohne Vergangenheit aber mit Hund

"Das Leben geht ja in jedem Fall vorwärts und nicht rückwärts"

Wir haben eine Vorstellung davon, wer wir sind und wer wir sein wollen. Wir bestimmen, wie wir uns verhalten, was wir mögen und was uns zuwider ist. Wir erleben uns in Situationen und Verhaltensweisen und stehen an dem einen oder anderem Punkt aufgrund unserer Vergangenheit. Manchmal ist man in dem immer gleichen Trott als Teil eines Ganzen gefangen und manchmal wünscht man sich alles beiseite zu schmeißen und auszubrechen. Die Vergangenheit ungeschehen machen, sie vergessen und neu anfangen.

Was passiert aber, wenn wir es uns nicht aussuchen können, was und wie viel wir vergessen, was wenn wir aufwachen und nichts sind, niemand. Keine Erinnerung, keinen Namen, keine Persönlichkeit. Nichts. 

Mit genau dieser Vorstellung spielt die Inszenierung "Der Mann ohne Vergangenheit" nach dem Film von Aki Kaurismäki am LTT.

LTT, Der Mann ohne Vergangenheit, Landestheater Tübingen, Rolf Kindermann, Heiner Kock
Foto: Tobias Metz/ LTT; v.l.: Mattea Cavic, Heiner Kock, Daniel Tille, Susanne Weckerle, Sabine Weithöner, Robin Walter Dörnemann, ANdreas Gugliemetti, Rolf Kindermann

Und da haben wir ihn nun, unseren Mann ohne Vergangenheit, der verlorener nicht sein könnte und mit der inneren Leere klar kommen muss. Was macht man, wenn man nicht weiß wer man ist, wie man heißt oder wo man geboren wurde. Wie soll man ankommen, wenn nicht weiß, woher man kommt, wo der eigene Ausgangspunkt ist? 

Gerade dieser Mann, der von Rolf Kindermann gespielt wird, der mit hängenden Schultern da steht und eine Unsicherheit und Verwirrung durchläuft, die ihn in dieser Szenerie so fehl am Platz wirken lässt. Ja gerade dieser Mann wird nun mit einer Gesellschaft konfrontiert, die so gar kein Mitgefühl und Verständnis für ihn hat, die sich selbst durchschlagen muss und grob und unnahbar wirkt. Und gerade dieses Grobe und dieser Bruch der Gesellschaft spiegelt sich auf der Bühne wieder. Die ganze Szenerie wirkt kaputt und trist. Wir sehen im Hintergrund eine Gegend, die verblasst, alt und rau wirkt. Die zerbricht und an den Kanten abgenutzt ist. Die vernachlässigt und allein gelassen wurde, sich selbst überlassen wurde. Oder vielleicht auch eine Vergangenheit, die zerbrochen ist? 

Genau diese Tristheit, die die Bühne in einheitlich verblassten Farben und verrosteten Überbleibseln zeichnet, ist Programm für die Menschen, die wir kennen lernen.

Was macht man nun, wenn man als Niemand in einer Gesellschaft ankommt, die ihre eigenen Probleme und Sorgen hat. Stellen wir uns das doch einmal vor, unwillkommen zu sein, hilflos und einsam.

Die Inszenierung erinnert uns daran, dass die banalsten Dinge, wie eine Unterschrift, plötzlich zur ungeheuren Herausforderung werden können. Doch wenn man keine Vergangenheit hat, dann bleibt einem nur noch die Zukunft, man hat ja keine Wahl. Und genau das zeigt uns die Stärke unseres Protagonisten, der versucht Ordnung in die Situation und seine Zukunft zu bringen. Der nicht einfach aufgibt, sondern sich eine Unterkunft sucht, versucht Arbeit zu finden und sein Leben wieder zu seinem eigenen zu machen. Dass er dabei immer wieder scheitert und aneckt ist vorprogrammiert.

Jedoch zwischen all den Niederlagen, dem Groben, der Gruppe von Menschen, die im selben Muster stehen geblieben ist und sich selbst an erster Stelle sieht, sehen wir kleine, fast schon übertrieben wirkende Momente und Wortspiele, die dieser Inszenierung die notwendige Lebendigkeit zurückgeben. Sei es die kleine rollende "Bank" oder die gefürchteten Hunde, die sich nur nach Streicheleinheiten sehnen. Sowieso bekommt man kurzzeitig das Gefühl, dass jeder, der wollte, einmal den Hund spielen durfte. Wer hat noch nicht, wer will nochmal?

Foto: Tobias Metz/ LTT
Foto: Tobias Metz/ LTT

Aber zwischen all dieser Komik, die der Verlorenheit entgegenwirkt, sehen wir eine Liebesgeschichte, die mit nur einem Blick beginnt und fast wortlos ihren Lauf nimmt. Vielleicht ist es auch diese Liebe, die unseren Namenlosen vorantreibt. 

All diese wortkargen Augenblicke, die in dieser Inszenierung aus der Filmvorlage von Aki Kaurismäki übernommen wurden, passen einerseits zu der Szenerie und dem Menschenschlag, den wir sehen. Andererseits werden die stillen wortlosen Momente durch Hintergrundmusik ersetzt, die versucht, Situationen und Emotionen zu verdeutlichen. Diese Musik fängt bei christlichen Liedern der Heilsarmee an und wird dem Rock´n´Roll gegenübergestellt. In dieser Inszenierung geht es aber nicht darum, wie ein namenloser Mann eine Band an den Rock´n´Roll heranführt. Und auch die Bildsprache wird erst durch die musikalische Untersützung lebendig. Zu Beginn des Abends werden wir mit einer marionettenhaften Performance konfrontiert, die uns allerdings durch ihre Bewegung und Dynamik ganz von alleine in die Geschichte hineinführt. Diesen Schwung verliert die Inszenierung an manchen Stellen.

Nichtsdestotrotz zeigt uns die Inszenierung von Christoph Roos einen Mann in einer Situation, die nicht verzweifelter und verlorener sein könnte. Und ausgerechnet dieser Mensch schafft es dieser grauen, tristen und in ihrem Trott verfahrenen Truppe wieder Leben einzuhauchen. 

Vielleicht ist das auch ein kleiner Warnschuss, sich selber einmal zu überlegen, wer man ist und wohin einen das Verharren in der Vergangenheit gebracht hat.


Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Jochen Gewecke (Sonntag, 01 Oktober 2017 10:30)

    Muss man, um anzukommen, wissen, wo der eigene Ausgangspunkt ist? Das ist eine sehr spannende Frage. Und ich glaube: nein. Man muss es nicht. Gerade das war die Chance des Mannes ohne Vergangenheit: Er konnte neu anfangen. Ganz unbelastet vom Ausgangspunkt, den er vergessen hatte. Und tatsächlich konnte er neu agieren und sich verhalten, ohne sich auf den Ausgangspunkt zu beziehen und ohne von ihm behindert zu werden. Spielbein par excellence.